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Die Untreue psychologisch verstehen

Interview mit dem Berliner Buchautoren und Partnerschaftsexperten Dr. Wolfgang Krüger über die Gründe für Untreue und was wir tun können, damit es uns selber gelingt, in einer Beziehung dauerhaft treu zu bleiben.

Was ist eigentlich so faszinierend an einem Seitensprung? Ist es der Sex, der dort viel ungehemmter ist?

Der Sex ist es in der Regel nicht einmal. Das unwiderstehliche an einer Affäre ist, dass wir wieder ernst und wahrgenommen werden von einem anderen Menschen. Manchmal haut das die Menschen richtig um, wenn jemand sich wirklich für sie interessiert. In der Regel kommt es nicht deshalb zu einer Affäre, weil jemand ein erotisches Angebot macht. Ich kann Ihnen einen konkreten Fall erzählen, bei dem das ganz deutlich wird.

Gerne!


Neulich hatte ich eine Klientin, die seit einigen Monaten fremd ging. Sie wusste einfach nicht mehr weiter, weil sie einerseits sehr an ihrem Mann hing und auf der anderen Seite sich auch zu ihrem Geliebten sehr hingezogen fühlte. Sie erzählte mir, dass sich ihr Geliebter immer wieder wenn die beiden sich sahen, sehr für sie und ihr Leben interessiert hatte. Der wusste noch nach Wochen ganz genau, was sie zuletzt erzählt hatte über ihre Probleme mit ihrem Zahnarzt und er erkundigte sich neugierig, wie es weitergegangen war. Nach der vierten Begegnung mit diesem aufmerksamen und interessierten Mann war diese Frau hell entflammt für ihn. So gehen Affären oft los – und nicht mit einer plumpen erotischen Anmache.
Die meisten Seitensprünge beginnen mit ganz alltäglichen Gesprächen, die jedoch so intensiv werden, dass schließlich auch das sexuelle Erlebnis gesucht wird.

„Seitensprünge sind meist ein Hunger nach Beziehung.“

Evolutionsbiologen sind da ganz anderer Ansicht. Sie halten monogames Verhalten bei Menschen und Tieren schlicht für widernatürlich. Treue ist demnach gar nicht möglich.

Auf Tiere mag dies zutreffen, doch der Mensch hat in der Evolution eine Sonderrolle. Wir verfügen über keine Instinkte, das macht uns wandlungsfähig, aber auch schwach. Und wir dürfen nicht übersehen: immerhin ist  jeder zweite Mann, jede zweite Frau treu. Es ist also nicht unmöglich treu zu sein.

Vor allem Männer erklären die Untreue gern mit der Steinzeit und dass die Männer Jäger sind oder damit, dass man die Gene weit streuen muss, damit gesunde Nachkommen entstehen.

Dies sind in meinen Augen wunderbare Entschuldigungen – mehr nicht. Nochmal: Die meisten Seitensprünge sind nicht in erster Linie ein sexuelles Abenteuer. Sie sind meist ein Hunger nach Beziehung. Man muss die Untreue immer psychologisch verstehen.

„Beide Geschlechter sind etwas gleich häufig untreu.“

Wer fremdgeht führt oft eine schlecht laufende Beziehung als Begründung für Untreue an. Ist das wirklich der einzige Grund?

Das alleine ist mir zu einfach. Es gibt nach meiner Beobachtung drei Motive für Untreue. Da ist zunächst die narzisstische Untreue, die dazu dient, das eigene Selbstwertgefühl zu heben. Diese Form der Untreue kommt oft bei Männern vor. Dann gibt es die Angst vor Nähe. Hier dient der Seitensprung dazu, die als einengend empfundene Nähe und Abhängigkeit zu regulieren. Man sagt sich beruhigt, "Ich kann auch mit anderen schlafen" und kann sich wieder besser in die eigene Beziehung einlassen. Zuletzt ist da noch die unglückliche Ehe. Hierzu gehören 60 Prozent der Seitensprünge. Man ist vom anderen enttäuscht, ist gekränkt, hat sich zurückgezogen, es gibt kaum noch lebendige Gespräche, keine Erotik und nun begegnet man einem Menschen, von dem man sich wieder verstanden und erkannt fühlt - und geht fremd.

Männer haftet ja das Etikett an, besonders zur Untreue zu tendieren. Stimmt dieses Vorurteil?

Nein. Früher dachte man, dass vor allem Männer untreu sind. Doch mittlerweile hat man erkannt, dass in den Umfragen Männer oft übertreiben, wenn es um die Sexualität geht. Frauen verschweigen ihre Untreue dagegen gerne. Heute weiß man, dass beide Geschlechter etwas gleich häufig untreu sind.
Allerdings gibt es zwischen den Geschlechtern einen auffälligen Unterschied: Wenn eine Affäre länger dauert als ein Jahr, dann entscheiden sich 57% der Frauen, aber nur 25% der Männer für die neue Beziehung. Männer führen eher auf Dauer ein Doppelleben und scheuen das Risiko einer Entscheidung für die Geliebte.

Klingt aber auch super: Die eine Frau ist für Heim und Herd zuständig und versorgt die Kinder – mit der anderen gibt es leidenschaftliche Erotik.

Es klingt zunächst einmal so, als wenn es einem Mann auf diese Weise richtig gut geht. Das ist aber gar nicht der fall. Wer auf Dauer fremdgeht, wird damit nicht glücklich. Er verliert die sozialen Wurzeln, er weiß, dass er sowohl die Partnerin als auch die Geliebte enttäuscht. Er muss überall lügen, und letztlich ist er nirgends zu Hause. Wir sind als Menschen sehr auf den Zusammenhalt mit anderen Menschen angewiesen, damit unser Lebensgefühl stabil bleibt. Deshalb führt langfristige Untreue eher zu einer großen inneren Unruhe.

„Etwa zwei Drittel der Beziehungen gehen nach einem Seitensprung innerhalb eines Jahres zu Ende.“

Sie warnen so eindringlich vor der Untreue. Es gibt aber auch die Ansicht, dass Untreue auch eine Chance für eine Beziehung sein kann.

Nur bei 15 Prozent aller Seitensprünge bessert sich danach die Beziehung. Das ist dann der Fall, wenn man den Seitensprung als Anlass nimmt, wirklich miteinander zu reden, sich umeinander zu bemühen. Man lässt sich durch den Seitensprung aufrütteln, versteht ihn als ein Krisensymptom und arbeitet gemeinsam an der Beziehung. Dann kann eine Partnerschaft nach einem Seitensprung durchaus besser werden.

Bei 85 Prozent der Paare kommt es aber zu einer Verschlechterung der Beziehung.

Ja, Untreue ist einer der stärksten Katalysatoren für die Auflösung einer Partnerschaft. Etwa zwei Drittel der Beziehungen gehen nach einem Seitensprung innerhalb eines Jahres zu Ende.

Der amerikanische Paartherapeut John Gottman sagt, dass Partnerschaften ganz von alleine eine Tendenz haben, schlechter zu werden. Was können wir tun, damit das nicht passiert?

Sie brauchen da nur an meine Klientin zu denken, die fremdging, weil ein Mann sich liebevoll und einfühlsam für sie interessierte. Warum war sie denn so empfänglich für die Aufmerksamkeit dieses Mannes?

Weil sie genau das in ihrer Partnerschaft nicht bekam, nehme ich an.

Richtig. Ihr Mann interessierte sich schon lange nicht mehr wirklich für sie. Doch genau das ist nötig, wenn wir eine stabile Liebe haben wollen. Wir wissen, dass es sehr darauf ankommt, dass man sich um die Beziehung kümmert. Dass man Zeit investiert und Aufmerksamkeit. Man muss auch die großen Konflikte in der Partnerschaft besprechen, weil sonst eine zu starke Entfremdung eintritt. Und man braucht viel Humor und gelegentlich auch die Fähigkeit des Verzeihens – denn Schwierigkeiten und Enttäuschungen gibt es in jeder Beziehung.

Vier Fälle von Untreue

Um das Thema der Untreue für Sie noch fassbarer zu machen, haben wir von die-partnerschaftsberater Wolfgang Krüger gebeten, sich in vier unterschiedlichen Fällen von Untreue oder Beinahe-Untreue als Berater zu versuchen. Wir haben uns beispielhaft vier verschiedene Menschen und deren Fragen an ihn als Experten ausgedacht.

Ein kleiner Flirt
Meine Ehe ist im Laufe der Jahre ein wenig gleichförmig geworden, der Sex eher selten – aber ich hielt sie bis vor ein paar Wochen für gut. Dann ist mir bei einer Fortbildung eine attraktive Kollegin begegnet und schon in der zweiten Pause merkte ich, dass ich mit ihr flirtete. Was kann ich jetzt tun?

Ein Flirt kann natürlich sehr aufregend sein und die Lebensstimmung sehr heben. Dennoch muss ich Sie warnen: Wenn Sie wirklich Interesse an einer Fortsetzung Ihrer Ehe haben, dann müssen Sie sich sofort zurückziehen. Setzen Sie den Flirt unter keinen Umständen fort. Machen Sie sich dann klar: In Ihrer Ehe fehlt Ihnen viel mehr als Sie bislang dachten. Nehmen Sie den Flirt als ein aufrüttelndes Ereignis. Erzählen Sie auch Ihrer Frau nichts davon, denn die wird sich dann stark verunsichert fühlen. Zu einem Paartherapeuten oder in eine Paarberatung zu gehen wäre sinnvoller.

Sie müssen sich überlegen, was in Ihrer Ehe verschüttet ist, was Sie wiederbeleben können, damit Sie nicht wieder in Versuchung kommen. Denn klar ist: Es ist in Ihrer Ehe zu einer Entfremdung gekommen. Sie und Ihre Partnerin leben auf mittlerer Distanz und die Leidenschaft ist durch den seelischen Abstand verkümmert. Es ist eine Kameradschaftsehe geworden. Das müssen Sie ändern, sonst treffen Sie bald auf die nächste Frau, zu der Sie sich unwiderstehlich hingezogen fühlen.

Was kann ich tun?
Ich bin seit 1 1/2 Jahren die Geliebte eines einflussreichen Politikers. Seine Ehe ist schlecht und er will sich trennen. Doch bislang ist nichts geschehen. Was kann ich tun?

Sie sollten nur dann dauerhaft bei diesem Mann bleiben, wenn Ihnen die Stellung als seine Zweitfrau reicht. Sie dürfen nicht hoffen, dass dieser Mann sich für sie entscheidet. Wenn Männer so lange mit zwei Frauen zusammen sind, dann haben sie sich an ein Doppelleben gewöhnt und entscheiden sich nicht für eine der beiden Frauen. Männer wollen im Normalfall beides, die Ehefrau und die Geliebte. Wenn sich Männer doch einmal entscheiden, entscheiden sie sich für die Ehe und ziehen sich von der Geliebten zurück.

Ich rate betroffenen Frauen immer: Bleiben sie höchstens ein Jahr in dieser Form zusammen. Trennen Sie sich dann. Wenn Sie länger als ein Jahr zusammenbleiben, gehen Sie an dem Zustand seelisch zu Grunde. An jedem Geburtstag und auch an Weihnachten leiden Sie. Und diese Leiden werden im Laufe der Zeit nicht geringer, sondern vergrößern sich noch.

Zeit zur Klärung
Meine Frau hat seit sechs Wochen einen Geliebten. Ich habe ihr Handy überprüft, weil sie in letzter Zeit so auffallend strahlende Laune hatte. Sie hat dann alles zugegeben. Ich will sie nicht verlieren aber lange halte ich die psychische Anspannung nicht mehr aus.

Sie sollten mit Ihrer Frau das Gespräch über Ihre Ehe suchen. Was ist los in Ihrer Beziehung? Was fehlt? Es ist vor allem die gegenseitige Entfremdung, die zur Untreue führt. Man fühlt sich vom anderen nicht mehr gesehen, fühlt zu wenig Anerkennung und auch die Erotik ist meist eingeschlafen. Und dann begegnen wir plötzlich einem Menschen, von dem wir uns verstanden und erkannt fühlen.

Bitten Sie Ihre Frau um einen Zeitraum der Klärung. In dieser Zeit sollte sie diesen Mann möglichst nicht treffen. So lange sie mit ihm ein Verhältnis hat, ist eine Klärung für sie beide kaum möglich.
Versuchen Sie herauszufinden, was in der Ehe anders sein müsste, damit Ihre Frau die Außenbeziehung aufgeben kann. Solche Gespräche führen sich leichter mit Hilfe einer professionellen Beratung.

Ist er ein Narzist?
Mein Mann hat bei einer Geschäftsreise nach ein paar Bier mit einer Kollegin geschlafen. Es lag am Alkohol und es war ein einmaliger Vorfall – sagt er. Aber mir fällt es jetzt ausgesprochen schwer, ihm wieder zu vertrauen. Jedes Mal wenn er wegfährt, sitze ich zu Hause wie auf glühenden Kohlen.

Glauben Sie mir: Der Alkohol ist nicht der Grund für den Seitensprung. Er macht ihn leichter, mehr nicht. Wenn die Zufriedenheit in der Partnerschaft gut ist, dann geht jemand nicht fremd. Insofern ist Ihre Unruhe ganz berechtigt. Sie müssen ja in der Tat Angst haben, dass Ihnen mit Ihrem Partner wieder so etwas passiert.

Die Frage die sich mir stellt ist: Ist er ein Narzist, der durch sein Fremdgehen sein Ego stärkt? Wenn er fremdgeht, um sein Ego zu stärken, dann wird das immer wieder vorkommen und Sie haben keine Möglichkeit, das zu verhindern. Sie haben es dann mit einem Persönlichkeitsproblem Ihres Partners zu tun. Ihnen bleibt nur die Möglichkeit sich damit zu arrangieren oder zu gehen. Die andere Möglichkeit: Es steckt eine Unzufriedenheit Ihres Partners mit der Beziehung dahinter. Dann sollten Sie herausfinden, was es ist. Wenn Sie genauer wissen, woher die Unzufriedenheit bei ihm kommt, dann werden Sie möglicherweise wieder ruhiger.

Das Interview wurde geführt von Christian Thiel.